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Kürzlich bei einer Literaturverfilmung, musste ich an meine frühsten Leseerfahrungen zurückdenken, deren Anfänge ich sehr verschwommen wahrnahm, jedoch so erinnerungsstark wurden, dass ich meine alten Karl May Bücher hervorkramte auf der Suche nach Winnetous Sterbeszene:

„Noch immer lag der Apatsche bewegungslos. Die braven Railroaders, die sich so wacker gehalten hatten, und die Settlers mit den Ihrigen bildeten um uns stumm und tief ergriffen einen Kreis. Da endlich schlug Winnetou die Augen auf.

‚Hat mein guter Bruder noch einen Wunsch?‘ wiederholte ich.

Winnetou nickte und bat leise:

‚Mein Bruder Scharlih führe die Männer in die Gros-Ventre-Berge! Am Metsur-Fluß liegen solche Steine, wie sie suchen. Sie haben es verdient.‘

‚Was noch, Winnetou?‘

‚Mein Bruder vergesse den Apatschen nicht. Er bete für ihn zum großen, guten Manitou! – Können diese Gefangenen mit ihren wunden Gliedern klettern?‘

‚Ja‘, meinte ich, obgleich ich sah, wie die Hände und Füße der Settlers unter den schneidenden Fesseln gelitten hatten.

‚Winnetou bittet sie, ihm das Lied von der Königin des Himmels zu singen!‘

Ich trug den Männern die Bitte des Apatschen vor, und sogleich winkte der alte Hillmann. Sie erklommen einen Felsenabsatz, der zu Häupten Winnetous hervorragte, um den letzten Wunsch des Sterbenden zu erfüllen. Seine Augen folgten ihnen und schlossen sich dann, als die Männer oben standen. Er ergriff meine beiden Hände und hörte nun das ‚Ave Maria‘:

 

‚Es will das Licht des Tages scheiden;

nun bricht die stille Nacht herein.

Ach könnte doch des Herzens Leiden

so wie der Tag vergangen sein!

Ich leg‘ mein Flehen dir zu Füßen;

o trag’s empor zu Gottes Thron,

und laß, Madonna, laß dich grüßen

mit des Gebetes frommen Ton:

Ave Maria!‘

 

Als nun die zweite Strophe anhob, öffneten sich langsam seine Augen und richteten sich mit mildem lächelnden Ausdruck zu den Sternen empor.

Dann zog Winnetou meine Hände an seine matt atmende Brust und flüsterte:

‚Scharlih, nicht wahr, jetzt kommen die Worte vom Sterben?

Ich konnte nicht sprechen. Ich nickte weinend, die dritte Strophe begann:

 

‚Es will das Licht des Lebens scheiden;

Nun bricht des Todes Nacht herein.

Die Seele will die Schwingen breiten;

Es muß?, es muß gestorben sein.

Madonna, ach, in deine Hände

Leg‘ ich mein letztes, heißes Flehen:

Erbitte mir ein gläubig Ende

Und dann ein selig Auferstehn!

Ave Maria!‘

 

Als der letzte Ton verklungen war, wollte Winnetou sprechen – es ging nicht mehr. Ich brachte mein Ohr ganz nahe an seinen Mund, und mit der letzten Anstrengung der schwindenden Kräfte flüsterte er:

‚Scharlih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Leb wohl!‘

Es ging ein Zucken und Zittern durch seinen Körper, ein Blutstrom quoll aus seinem Mund. Der Häuptling der Apatschen drückte nochmals meine Hände und streckte seine Glieder. Dann lösten sich seine Finger langsam von den meinigen – er war tot –“

Karl May, Winnetou

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