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Schaut man in die Social-Media-Plattformen, scheint folgende Aussage wie aus einer anderen Welt:

Die Wahrheit in der Kritik zu sagen, ist das Wenigste. Die Voraussetzung: es kommt darauf an, wie man sie sagt. Ich dachte, die Kritik auf eine Stufe zu bringen, wo sie eine dichterische Kunst sein kann.“

Sie stammt aus einer anderen Zeit. Gestern jährte sich der 75. Todestag des Schriftstellers und Kritikers Alfred Kerr.

Zu seiner Beerdigung verbat er sich Zeremonie und Trauerreden. Einer der größten Wortakrobaten der letzten 150 Jahren wollte, dass niemand das Wort ergreife. Wie hätte ein potenzieller Redner auch das Sprachniveau des Verstorbenen erreichen können?

„Wir Literaturmenschen und leidenschaftliche Beobachter, die wir eine halb perverse Menschengattung sind, können es nicht lassen, im Leben und an den Ereignissen vor allem die künstlerische Seite abzuschätzen.“ In dieser Reihenfolge: „Beobachten, Empfinden, Genießen, Abschätzen, Einschätzen, Beschreiben, Beurteilen!

Alfred Kerr gilt heute als der größte und wirkungsmächtigster Kritiker des 20. Jahrhunderts, sein Steckenpferd war das Theater:

Ein Verriss aus seiner Hand konnte das Ende für Literaten, Schauspieler, Intendanten und Regisseure bedeuten. Lobte er hingegen, war ein Karrieresprung gewiss. Und wie das Eingangszitat zeigt, verstand sich Alfred Kerr nicht als dienender Helfer der Kunst. Er sah sich im eigenen Schreiben als origineller Künstler.

Mittel seiner Schreibkunst waren Ironie, Kürze, Schärfe – nur keine simple Informationsvermittlung. Heinrich Heine war sein Vorbild. Immer bemüht, beim Leser in deren „Gehirne einen Blitzschlag zu erzeugen“.

Selbst die größten Geister seiner Zeit waren vor seiner spitzen Schreibfeder nicht sicher. Über Thomas Mann schrieb er: „Der Autor der Buddenbrooks ist kein Blitzdichter, sondern ein Sitzdichter. Seine Begabung wohnt im Sitzfleisch.“ Ironisch ersetzte Kerr den Titel Buddenbrook durch Bodenbruch.

Alfred Kerr war als Deutscher wie als Jude seiner selbst sicher und gewissenhaft bewusst. In die innere und äußere Unsicherheit zwang ihn die Naziherrschaft. Tochter Judith beschrieb später, wie die Familie diese Flucht aus der kindlichen Perspektive erlebte, „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“.

In seinen letzten Lebensjahren nahm sich Alfred Kerr (1867-1948) vermehrt in einsamer Introspektive wahr.

Im Zeitenstrom tanzt ein Atom. Hat manche Lust empfunden in 93 Traumsekunden. Bevor es in das All versank, winkst du ihm zu…. Hab dank. Hab Dank.

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